Jean Ziegler „Der G20-Gipfel gehört ersatzlos abgeschafft“ Aachener Nachrichten 5.7.2017
Denkt Jean Ziegler an die G20, wird er zornig. Der Soziologie-Professor und langjährige UN-Diplomat wirft den Vertretern der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer vor, im Kampf gegen Hunger und Krieg völlig versagt zu haben….
Herr Ziegler, was halten Sie vom G20-Treffen in Hamburg?
Ziegler: Nichts! Der G20-Gipfel gehört sofort und ersatzlos abgeschafft. Er hat keinerlei völkerrechtliche Legitimation.
Warum?
Ziegler: Weil er total undemokratisch ist und die Vereinten Nationen schwächt.
Das müssen Sie erklären.
Ziegler: Ursprünglich war das Ende der 70er Jahre von Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem französischen Präsidenten Valery Giscard d’Estaing ins Leben gerufene Gipfelformat nur ein Forum für den informellen Austausch zwischen einzelnen Staaten. Inzwischen maßen sich die dort versammelten Regierungschefs der wirtschaftlich mächtigsten Staaten Entscheidungsgewalt an. Sie repräsentieren zwar zusammen 85 Prozent des Weltsozialproduktes, aber sie vertreten weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung. Sicherlich werden auf dem Hamburger Gipfel dringende Probleme angesprochen, die nur international gelöst werden können. Beispielsweise die Klimakatastrophe. Oder die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer. Oder das tägliche Massaker des Hungers – alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren, obwohl unser Planet problemlos die doppelte Zahl der derzeitigen Weltbevölkerung ernähren könnte. Aber die Diskussion darüber darf nicht von einem selbsternannten Herrschaftsclub hinter verschlossenen Türen und ohne demokratische Kontrolle geführt werden.
Trotzdem treten die Teilnehmer des Gipfels mit dem Anspruch an, die Interessen der Völker wahrnehmen und die Welt gerechter machen zu wollen.
Ziegler: Dieser Anspruch ist vermessen. Das haben bereits die vergangenen Gipfel gezeigt. Wer genauer hinschaut wird feststellen, dass die Staatschefs dort die Interessen des globalisierten Finanzkapitals, die Interessen einer kleinen Gruppe von Oligarchen vertreten. Sie sind längst keine eigenständigen Entscheidungsträger mehr, obwohl die meisten von ihnen demokratisch gewählt wurden. Nein, die Probleme gehören vor die Vereinten Nationen.
Quelle: Aachener Nachrichten